Sie sehen so weich und flauschig aus mit ihrem braunen Pelzchen. Kann man die streicheln? Ein erfahrener Fachmann kann es bestimmt, doch unsereinem wäre schlecht geraten, es zu versuchen. Außerdem halten sie sowieso nicht still! Und wer würde freiwillig auf eine Leiter klettern, um sie genauer zu inspizieren? Dazu bräuchte es vermutlich auch noch extra Schutzkleidung. Also, was hat sich die Maria-in-der-Wuhr-Kapelle bloß dabei gedacht, sich solche Haustiere zuzulegen – und ihnen auch noch direkt über der Haus- bzw. Kirchentüre ein Plätzchen zuzugestehen? Die Rede ist von Bienen – einem ganzen Schwarm, der direkt über der Türe, zwischen den Köpfen der zwei Engel, quasi aus deren Sprechblase – emsig ein- und ausfliegt!

Im Zusammenhang mit Stichworten wie Umweltzerstörung, Klimawandel und Insektensterben sind Bienen in den letzten Jahren zunehmend ins Zentrum des öffentlichen Bewusstseins und Interesses gerückt. Denn was einmal selbstverständlich war, wurde durch den Einsatz von Pestiziden, durch Monokultur und die Versiegelung großer Flächen zum Problem: Die Ernährung der Menschheit! Durch das Verschwinden der Insekten, besonders der Bienen, wurden (und werden) Pflanzen nicht mehr bestäubt. Erschreckende Bilder von riesigen Plantagen, in denen in Schutzanzüge gehüllte Arbeiter*innen von Hand einzelne Obstblüten bestäuben, gingen um die Welt. Inzwischen zeichnet sich ein Umdenken ab: Um das Überleben von Bienen (und anderer Insekten) zu sichern, werden vielerorts extra Blumenwiesen angelegt; Bauern verpachten Ackerfläche, für die Bürger „Blühpatenschaften“ übernehmen; Start-ups vermieten Bienenvölker; Kund*innen kaufen bevorzugt „preis-werten“ Honig lokaler Imker*innen. 

Doch ist all das Grund genug, dass ein Bienenvolk sich ungeniert in der Wand der Wuhr-Kapelle einnisten kann, dass Maria dort Haustiere haben darf? 

Seit dem Altertum ist die Biene nicht nur ein „Nutztier“ (- und wegen des wirtschaftlichen Nutzens der natürlichen Bestäubung nach Rind und Schwein inzwischen das wichtigste weltweit!-), sondern auch Vorbild und Symbol der Ordnung, der Organisation und des Fleißes („Fleißig wie ein Bienchen!“). Bereits im Alten Testament wir der Fleiß der „unansehnlichen“ Tiere gerühmt (Sir 11,3; Spr 6,8 /Sept). Die Zielstrebigkeit hebt sie unter den anderen Insekten, zum Beispiel den geschäftigen Hummeln, positiv hervor. Frucht des „Bienenfleißes“ ist nicht nur der Honig, den Menschen wie auch viele Tiere zu schätzen wissen. Dem „Bienenharz“ Propolis wird eine vielfache positive (antimikrobielle, virostatische, antioxidative, zytotoxische) Wirkung zugeschrieben. Legendär soll die kosmetische Wirkung von Gelee Royal sein. Darüber hinaus erfreuen vor allem die Waben seit altersher den Menschen, insofern sie das Wachs zur Herstellung von lichtspendenden Kerzen liefern. Im Exultet der Osternacht wird das Lob der Biene gesungen, wenn es dort heißt: „Die Flamme wird genährt vom schmelzenden Wachs, das der Fleiß der Biene für diese Kerze bereitet hat.“

Wegen ihrer Wehrhaftigkeit, ihrer Ordnung und ihres unermüdlichen Einsatzes ist die Biene auch das Symbol vieler Herrscher. Lange hat man übrigens gedacht, das Volk der Bienen werde von einem Herrscher, nicht von einer Königin regiert.

Weil die Biene nur „das Beste“ aus den Blüten sammelt, gilt sie außerdem als Symbol der Reinheit. Von dieser Vorstellung ausgehend wurde die Biene in der frühen Theologie auch als Symbol für die „reine Jungfrau“ Maria verstanden, der Bienenkorb als ihr Mutterleib, der den Heiland gebar. Abgeleitet von dieser Idee wurde die Biene darüber hinaus zu einem Symbol der Hoffnung.

In der Kunst spielt die kleine, eher unscheinbare Biene eine buchstäblich kleine Rolle. Im Focus ist eher der Bienenkorb als Symbol für die Kirche als „vollkommene Gesellschaft“ (societas pefecta) – ein Bild, das uns heute höchst fremd, ja befremdlich, erscheint. – Vielen Menschen hier in der Region ist dagegen der kleine barocke Putto in der Wallfahrtskirche Birnau vertraut, der sogenannte „Honigschlecker“. Die Figur verweist angeblich auf den Hl. Bernhard von Clairvaux, dem beim Predigen die Worte „wie Honig aus dem Mund flossen“.  Eine andere Deutung findet sich beim griechischen Kirchenlehrer Origenes. Er sah das Verhältnis von Gottes Wort zu Menschenwort gut ausgedrückt im Bild der Waben und des Honigs: Wie der Honig in den Waben enthalten ist, so ist Gottes Wort in den menschlichen Worten unserer Sprachen enthalten und kann darin entdeckt werden – wie es uns der Honigschlecker vormacht. 

Als geschätzte Haustiere taugen also nicht nur Hunde, Katzen oder Pferde. Insofern Maria-in-der-Wuhr-Kapelle den kleinen, unscheinbaren Bienen Obdach gewährt, lenkt sie unseren Blick womöglich auf ein paar Tugenden, die über alle Zeiten hinweg ein wichtiger Beitrag zu der Gemeinschaft und Gesellschaft sind, in der wir leben: Fleiß, Hingabe, ertragreiche Arbeit und ein Sinn für Ordnung und Gemeinwesen.                                       

(Claudia Wendt-Lamparter, Pastoralreferentin)

QUELLEN / ZUM WEITERLESEN:

Doppelfeld, Basilius; Symbole III: Mensch und Tier; Münsterschwarzach 1993

https://de.wikipedia.org/wiki/Honigschlecker

https://welt-der-biene.de/bienenbeute/

http://www.bee-careful.com/de/bienenleben/honigbiene/

https://www.mdr.de/wissen/umwelt/das-leben-der-bienen-100.html

https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.steckbrief-die-honigbiene-bienen-ein-fleissiges-voelkchen.8d27377f-29f4-40e6-a846-f437c84d3e6e.html

https://www.deutschlandfunk.de/artenvielfalt-buerger-pachten-blumenwiesen-um-bienen-zu.697.de.html?dram:article_id=444976

https://www.bee-rent.de/